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Der Meister und die Nudelsuppe

Interview mit einem japanischen Ramen-Meister

Japan ist für viele Dinge bekannt. Eines davon ist die wohl schmackhafteste und vielseitigste Nudelsuppe der Welt: Ramen. Aber was genau ist das überhaupt? Wir finden, diese Frage kann uns nur ein echter japanischer Ramen-Meister beantworten. Im Interview mit Hirotoshi Inue erfahren wir alles, was wir schon immer über das weltberühmte Gericht wissen wollten und erhalten dabei einen einmaligen Einblick in die kulturelle und kulinarische Seele Japans. Vorsicht: Es besteht die Gefahr, beim Lesen hungrig zu werden!

Ramen essen: so individuell wie du und ich

Wie ein Gericht uns alle verbindet

Der Meister und sein Chef erwarten mich bereits, als ich am späten Sonntag Nachmittag das noch leere Restaurant betrete. Der Meister ist Hirotoshi Inue. Er hat in Tokio sein Handwerk gelernt und verzückt nun jeden Abend die Gäste des Ramen ann in Kiel mit seinen leckeren Kreationen. Der Chef ist Shinichi Umino. Er ist Opernsänger von Beruf und hat viele Jahre darauf gewartet, dass eines Tages ein Japaner in die Stadt kommen und endlich ein schönes Restaurant eröffnen würde. Bis ihm klar wurde, dass er selbst dieser Japaner war. In diesem Augenblick weiß keiner von uns, dass die beiden mir in der nächsten Stunde nicht nur die Geschichte der Ramen-Herstellung näherbringen werden. Hier geht es um mehr als das. Es geht um Hingabe und Leidenschaft, um kulturelle Identität und um das Brückenschlagen zwischen zwei Ländern und Kulturen. Zunächst einmal nehmen wir aber in aller Ruhe Platz. Die große Herzlichkeit und Gastfreundschaft der beiden berührt mich sehr und ich kann es kaum erwarten, meine Fragen zu stellen. Ich frage auf Deutsch, Meister Inue antwortet auf Japanisch und Herr Umino übersetzt beinahe mühelos zwischen uns hin und her – es ist ein wunderbares Bild für das, wofür die berühmte Nudelsuppe eigentlich steht, wie ich bald erfahren werde.

Ein Gespräch mit dem Meister

Herr Inue, zum Einstieg einmal ganz simpel zusammengefasst: Was ist Ramen?

Ramen ist eine Nudelsuppe und kommt ursprünglich aus China. Das Wort Ramen ist an den Klang des chinesischen Namen für das Gericht angelehnt worden. In Japan wurde die Suppe dann stetig weiterentwickelt und mit den Zutaten des Landes vermischt. Inzwischen gibt es unzählige verschiedene Arten, die von Region zu Region teils stark variieren. Die zwei Hauptbestandteile sind aber immer und überall: Suppe und Nudeln.

Wie kamen Sie auf die Idee, ein Ramen-Meister zu werden? Was für eine Bedeutung hat Ramen in der japanischen Kultur?

Großes Interesse und eine gewisse Leidenschaft sind, die wichtigste Voraussetzung dafür. In Japan ist Ramen ein Alltagsessen. Vom Kleinkind bis zum alten Menschen – jeder isst dieses Gericht. Es gibt dort niemanden, der Ramen nicht kennt oder es noch nie gegessen hat. Jede Region macht es ein bisschen anders, jedes Restaurant entwickelt seine Version davon individuell weiter. Wenn man Ramen wirklich liebt, dann versucht man natürlich so viele verschiedene Ramen wie nur irgendwie möglich zu probieren. Der Wunsch, mehr über die Herstellung und die Geschichte zu erfahren, wächst dabei von ganz alleine. Und dann geht es darum, sich in die Ausbildung zu begeben und die Technik zu erlernen.

Wie lange dauert denn so eine Ausbildung?

In Japan gibt es keine festgelegten Regeln, was die Dauer oder den Inhalt einer Ausbildung betrifft. Dort gilt das Wort des ausbildenden Meisters. Wenn dieser dich für bereit erklärt, dann hast du deine Ausbildung abgeschlossen. Das kann zwei Jahre dauern, aber auch fünf oder zehn. Derjenige, der eine große Leidenschaft mitbringt, der wird schneller ausgelernt haben als jemand, der weniger Interesse an seinem Handwerk mitbringt. Ich selbst habe in Tokio gelernt und bin heute noch auf der Suche nach meinem Ramen, nach meiner perfekten Kreation. Ich würde mich selbst in diesem Sinne also gar nicht als Meister bezeichnen. Es gibt noch vieles, das ich lernen kann, die Reise ist noch lange nicht vorbei.

Was ist das Besondere an einem Ramen Restaurant?

Ramen zu machen ist ziemlich schwierig. Die Küche muss für die Herstellung besonders eingerichtet werden. Die Vorbereitung der Suppenarten, das Bereitstellen der Zutaten, die unterschiedlichen Stationen während der Zubereitung – das alles braucht viel Platz. Zudem arbeiten wir stets mit einer Stopp-Uhr. Der Blick auf die Zeit gehört zur Zubereitung genauso dazu wie die Suppe und die Nudeln selbst. Erstere muss beispielsweise sehr heiß sein, letztere dürfen nicht zu lange kochen. Hierfür muss alles am richtigen Platz stehen, die Abläufe müssen reibungslos ineinandergreifen, es gehört viel Erfahrung dazu. Japanisches Ramen kann man nicht einfach nebenbei fertigen, dafür braucht es ein speziell darauf ausgerichtetes Restaurant. Es kommt zwar vor, dass sich andere asiatische Restaurants Ramen auf die Speisekarte schreiben, doch das ist einfach nicht dasselbe.

Worauf sollte ich achten, wenn ich als Einsteiger das erste Mal Ramen essen gehe? Worin unterscheiden sich die verschiedenen Arten, gibt es da Tipps und Tricks?

Zunächst einmal gibt es da keine Regeln. Ramen ist so vielfältig, wie Japan selbst. Es gibt viele verschiedene Arten von Nudeln und Brühe. Manche Suppen werden zum Beispiel auf Basis von Sojasauce hergestellt, sind dunkel und kräftig, andere sind leuchtend rot und bestehen aus verschiedenen scharfen Saucen. In Tokio bestehen die meisten Suppen aus Hühnerbrühe oder werden vegetarisch mit Kombu, einer Algenart, hergestellt. Zudem gibt es dort viele Brühen aus Schweinebouillon, so habe ich die Ramenherstellung gelernt. Auch die einzelnen Zutaten sind von Restaurant zu Restaurant verschieden. Dem einen schmeckt Fleisch, ein anderer mag es lieber vegetarisch, mit Tofu oder Ei. Gerade deshalb ist Ramen auch so beliebt. Für jeden gibt es eine passende Variante, man muss sich nur ausprobieren und sein liebstes Ramen finden.

Gibt es auch Tipps für die Herstellung zuhause? Etwas, worauf ich achten kann, wenn ich es selbst einmal kochen möchte?

Die Frage wird auch in Japan sehr häufig gestellt. (lacht) Zunächst einmal: Die Suppe sollte wirklich heiß sein. Nicht warm, kochend heiß. Dafür sollten jedoch die Nudeln nicht zu lange gekocht werden. Und das Wasser sollte richtig gut abgeschüttelt werden. Dann wird das Ramen zuhause gleich ganz anders schmecken. Probieren Sie das unbedingt einmal aus!

Herr Inue, für all unsere Japan Reisenden: Verraten Sie uns Ihren Geheimtipp für das beste Ramen in Tokio?

Ikebukoro ist das Ramen-Viertel in Tokio. Dort gibt es ein Restaurant neben dem anderen. Die Schlangen stehen teils die ganze Straße entlang – das ist ein gutes Zeichen. Wo viele Menschen freiwillig warten, findet sich meist etwas, auf das es sich zu warten lohnt. Dort gibt es außerdem viele verschiedene Arten von Ramen. Man kann dort wirklich nach Herzenslust schlemmen.

Mehr als nur ein Essen

Nach unserem Gespräch wird mir klar: Die japanische Nudelsuppe kann mehr als nur gut schmecken. Sie bringt die Menschen zusammen, vereint sie durch ihre Vielfalt und Individualität. Sie begeistert damit nicht nur die Japaner, sondern hat inzwischen Fans auf der ganzen Welt. Essen als Brückenbauer? Wie geht das? Die Frage stelle ich nach dem Interview Shinichi Umino, dem Besitzer des Ramen ann. Nachdenklich lässt er den Blick über die Küche schweifen, wo der Meister gerade mit den Vorbereitungen für den Abend beginnt. „Eine gute Frage,“ sagt er dann. Herr Umino ist eigentlich Opernsänger. Sein beruflicher Weg führte ihn 2010 nach Kiel, wo er das erste authentische japanische Sushi Restaurant eröffnete.„Ich habe lange Zeit darauf gewartet, dass ein Japaner kommen und unsere Kultur auf diese Weise vorstellen würde,“ sagt er. „Aber es kam keiner. Also wusste ich, dass ich derjenige sein müsste, der sein Glück versucht.“ Er wollte den Geschmack seiner Heimat teilen, ein mutiger Schritt, denn „ich wusste nicht, ob wir damit Erfolg haben würden. Aber die Menschen in Kiel haben uns und unseren Geschmack verstanden, das war ein tolles Gefühl.“ Und sie wollten mehr. „Unsere Gäste fingen an, uns nach Ramen zu fragen. Das hat uns natürlich unglaublich glücklich gemacht. Wir waren überrascht und so froh, dass man das Gericht hier probieren wollte.“

Miteinander, nicht nebeneinander

Also eröffnete Herr Umino 2019 das Ramen ann. „Unser Ziel war es, die echte japanische Esskultur nach Deutschland zu bringen und jedem, der Interesse daran hat, vorzustellen,“ erklärt er. Dass noch so viel mehr daraus wurde, wird klar, als er fortfährt: „Das war zunächst gar nicht so einfach. Herr Inue hatte große Schwierigkeiten, mit den Lebensmitteln von hier das umzusetzen, was er aus Tokio als Ramen kannte.“ Also tat der Meister das, was bereits die Japaner mit der chinesischen Nudelsuppe taten: Er probierte viele verschiedene Varianten aus und entwickelte das, was er über Ramen gelernt hatte mit den Möglichkeiten vor Ort weiter. Entstanden sind daraus einige außergewöhnliche und fantastische Kreationen, die es so nur im Ramen ann in Kiel zu essen gibt. Es ist eine neue Esskultur aus (nord-)deutschen Zutaten und japanischer Seele, ein Mit- und kein Nebeneinander, echte Vielfalt eben. „Natürlich könnten wir auch einfach nur Japan nach Deutschland bringen,“ fasst Herr Umino zusammen. „Aber das ist zu wenig, das ist nicht gemeinsam. Wir wollen zeigen, dass wir zusammen etwas Neues schaffen können.“ Weiterentwicklung durch Begegnung, ein Ziel, das Herr Umino und sein Ramen-Meister Herr Inue eindeutig erreicht haben. So baut man Brücken. Und alles begann mit einer Nudelsuppe.

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